Die 32jährige Antonia Taum führt ein Leben, wie sie es sich so sehnlich als Teenager gewünscht hat: Stadtwohnung in Bremen, neuer Job in einem erfolgreichen Unternehmen (MaBuGo = Make Business Good berät Firmen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit), After Work-Drinks in angesagten Läden. Kurz: Sie gehört dazu und ist endlich nicht mehr die komische Außenseiterin... Dann kommt sie auch noch ihrem Chef Piet näher, in den sie seit Monaten völlig verschossen ist. Doch nach der ersten gemeinsamen Nacht fängt statt einer Beziehung das große Chaos an. Antonia rammt mit Piets Porsche einen Laster. Dessen Fracht: Aus einem Mastbetrieb gerettete Hühner, die - ausgerechnet - auf dem Weg in die Freiheit waren. Um den Imageschaden für MaBuGo zu minimieren (der desaströse Unfall ging sofort viral), schickt Piet sie nach Osterlinteln. Auf einen Gnadenhof. Antonia soll dort Sozialstunden ableisten und ein paar Mal vor der Regionalpresse vortanzen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Für Antonia, Stadtpflanze und im Clinch mit ihrer Vergangenheit, ist das die Höchststrafe. Denn Osterlinteln ist nicht irgendein Kaff auf dem platten norddeutschen Land. Und der Gnadenhof gehört ihrer Halbschwester Rike, mit der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Hier musste Antonia früher mit ihrer Hippiemutter die Sommerferien bei Rike und deren Mutter Irene verbringen. Patchwork at its worst. Doch wider Willen wächst ihr der Gnadenhof mitsamt seinen versehrten tierischen Bewohnern ans Herz. Der einohrige Esel Gerd, der demente Eber Manni, das gerupfte Huhn Tusnelda: Sich um die Tiere zu kümmern, tut auch Antonia gut... Und selbst Rike ist irgendwie gar nicht mehr so unerträglich, im Gegenteil. Als Antonia auch noch Tom, Rikes Exfreund, wiedertrifft kommen ihre alten Überzeugungen ordentlich ins Wanken.
Langsam fügt sich das Desaster zu einem Bild zusammen. Vor mir der Lastwagen, mittlerweile ohne Fahrer, der stattdessen schreiend zwischen dem Federvieh umherrennt. Das Logo des Lasters ›Tiertransporte – sicher, schnell und zuverlässig‹. Teenager-Shopping-Queens, die am Straßenrand ihre Handys auf mich halten. Der Rauch, der vor mir aus der Kühlerhaube aufsteigt. »Sind Sie besoffen, oder was?« Der Fahrer wechselt abrupt die Richtung und stürmt heran. »Sie ... Sie ... Sie ...«, er erreicht mich und schnaubt wie eine Dampflok. ».... Irre!« Er stiert mich an, bevor er wieder abdreht und abermals hinter den Hühnern her rennt. Die fliehen in alle Windrichtungen, was zu einem Zickzackkurs des Fahrers führt, der mit den Händen nach unten schnellt, vermutlich um eines der Tiere zu fangen. Schnell löse ich den Gurt und fasse zum Türgriff, um es den Hühnern gleich zu tun – zu fliehen. Die Tür bewegt sich keinen Millimeter. Verdammter Mist! Ich sehe zur Beifahrertür, entscheide mich jedoch in Anbetracht meines engen Rockes dafür, dass es leichter ist, über die Fahrertür raus zu klettern. Leider war diese Analyse nicht korrekt. Der Rock macht es mir unmöglich, die Beine weiter als fünf Zentimeter zu grätschen, was genau genommen keine Grätsche mehr ist. Ich stemme mich an der Seite hoch und mache das zweite Mal an diesem Tag den herabschauenden Hund, diesmal nur über die Tür eines Cabrios. Das Klicken etlicher Foto-Apps ertönt am Straßenrand. Ich tapse mit den Händen vorwärts und ziehe meine im Rock gefangenen Beine mühsam hinterher. Dumpf schlagen meine Knie auf dem Asphalt auf und ich brauche ein paar Sekunden um mich von dem Schmerz zu erholen. Vielleicht sollte ich einfach liegen bleiben. Mit etwas Glück überfährt mich wer und erlöst mich aus meinem Elend. Doch das einzige, was über mich drüber stürmt, ist eine Schar Hühner, abgetrennt von dem Rest ihrer Mannschaft. Aus der Ferne nähern sich Sirenen und aus dem Augenwinkel sehe ich den Lastwagenfahrer, der noch immer alle paar Meter nach unten greift und dabei vor Wut schreit. Dies ist mit Abstand der beschissenste Beziehungsanfang, den ich jemals hatte.
Christine Heimansberg entwirft eine erschreckend reale Zukunftsvision, eine beklemmende patriarchale Dystopie, in der wir restlos verloren wären, würden wir uns nicht unsere Hoffnung, unseren Glauben und unsere Liebe bewahren.
Writing is like driving at night in the fog. You can only see as far as your headlights, but you can make the whole trip that way.
E. L. Doctorow